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Gesundheit fratz&co 07/2017 45
fratz&co: Wie entsteht Stress – und
inwiefern hat er seine Berechtigung?
Mag. Angelika Krauss-Riersch MAS:
Unter Stress funktionieren wir Menschen
biologisch immer noch wie zu
Urzeiten. Den Überlebensinstinkt
unserer Vorfahren aktivierten der
Säbelzahntiger oder das Mamut – heute
versetzen Zeit- und Erfolgsdruck,
belastende Gedanken uvm. unseren
Körper in Alarmbereitschaft. Nimmt
das Gehirn über die Sinnesorgane etwas
wahr, löst es über gelernte – entweder
gute oder schlechte – Erfahrungen eine
Emotion und in der Folge eine Körperreaktion
aus. So kommt es zu Entspannungs
oder Anspannungsreaktionen,
also Stress.
Diese Stressreaktion bereitet unseren
Körper heute wie in Urzeiten auf
Angriff, Flucht oder Verteidigung vor.
Dabei werden Adrenalin, Noradrenalin
und Kortisol ausgeschüttet. Letzteres
lässt den Körper auf Hochtouren laufen
und sorgt u. a. für die Unterdrückung
des Schlafhormons Melatonin. Mögliche
Folgen sind Schlafstörungen und
Nervosität, Depressionen und Burnout
werden begünstigt.
fratz&co: Was passiert bei Stress in
unserem Körper?
Angelika Krauss-Riersch: Insgesamt
entstehen 22 schädliche körperliche
Stressreaktionen, die den Stoffwechsel
erhöhen und die Zellen schneller altern
lassen. Es kann sogar zur Zelldegeneration
kommen. Das Immunsystem wird
zunehmend geschwächt und die
Allergieschwelle sinkt. Zucker und Fett
werden zur Energieversorgung der Muskulatur
ausgeschüttet. Blutzucker- und
Fettspiegel steigen, weil wir nicht
körperlich flüchten, kämpfen oder uns
verteidigen und den Zucker und das
Fett beim Sitzen oder Stehen in der
Arbeit, Schule oder Freizeit nicht wie
unsere Vorfahren verbrauchen.
Dadurch entstehen Verkalkungen und
Ablagerungen in unseren Gefäßen.
Herz- und Pulsfrequenz sowie Blutdruck
steigen um das Blut schneller
fließen zu lassen und die Muskulatur
rascher mit Sauerstoff, Fett und Zucker
versorgen zu können. Damit steigt z. B.
das Risiko für Diabetes II, Arteriosklerose,
Schlaganfall und Herzinfarkt. Die
Muskeln werden angespannt. Dies
äußerst sich z. B. in Verspannungen bis
hin zum Bandscheibenvorfall, Anspannungs
Kopfschmerzen und chronischen
Schmerzzuständen. Die Denkleistungsfähigkeit
im Großhirn wird heruntergefahren.
Konzentration und mentale
Leistungsfähigkeit sinken.
fratz&co: Warum ist Stress gerade für
Kinder schlecht?
Angelika Krauss-Riersch: Laut
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
ist Stress die größte Bedrohung des 21.
Jahrhunderts. Kinder, deren körperliche
Entwicklung noch nicht abgeschlossen
ist, verkraften Stress noch schlechter als
Erwachsene. Schulstress und Familienprobleme
werden immer noch unterschätzt,
sind aber meist Ursachen für
Aufmerksamkeits- und Leistungsstörungen,
Verhaltensauffälligkeiten und
chronische Erkrankungen.
fratz&co: Wie kann man mit Bio- und
Neurofeedback Stress entgegenwirken?
Angelika Krauss-Riersch: Bio- und
Neurofeedback sind verhaltensmedizinische,
nicht medikamentöse, schmerzfreie
Methoden. Mit ihnen kann
festgestellt werden, welche Stressoren
wie z. B. Leistungs- und Erfolgsdruck,
Ängste oder andere belastende Gefühle,
körperliche und geistige beeinträchtigende
Stressreaktionen hervorrufen.
Herz- und Pulsfrequenz, Atmung,
(periphere) Körpertemperatur und
Durchblutung, Schweißdrüsen-,
Muskel- und Gehirnaktivität geben
Auskunft darüber. Dazu werden diese
Stressparamater mittels medizintechnischen
Geräten gemessen und auf
einem Bildschirm grafisch sichtbar
gemacht.
Darauf basierend wird anschließend
unter professioneller Anleitung trainiert,
Stressreaktionen selbst zu
kontrollieren und zu steuern – und
zwar genau jene, die körperliche und
geistige Fehlfunktionen verursachen
und Regeneration behindern bzw.
verhindern. Es wird also mit Hilfe von
BNF die Selbstbeeinflussung der
Regenerationsfähigkeit erlernt. Weiters
wird negativer Stress abgebaut und
positiver Stress genutzt, um (Dauer-)
Belastungen zu bewältigen.
fratz&co: Worauf beruht die Wirkung
von BNF?
Angelika Krauss-Riersch: Die Wirkung
des BNF basiert auf der Methode
der operanten Konditionierung bzw.
dem „Lernen am Erfolg“. Dabei wird
gelernt jene Körperfunktionen, die
beeinflusst durch Überlastung Fehlfunktionen
auslösen, selbst zu beeinflussen.
Die erlernte Selbstregulation, z.
B. die Aktivierung von bestimmten
Gehirnaktivitäten zur Steigerung der
Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit,
wird durch Bilder, Musik oder
Spiele „belohnt“.
Das Unterbewusstsein wird sozusagen
bewusst trainiert. Da unser Gehirn
Erfahrungen, die belohnt werden
abspeichert und auf diese zurückzugreifen,
wiederholt es statt der Stressreaktionen,
die nicht belohnt werden, die
bewusst erlernten Reaktionen. Beim
operanten Lernen entscheiden also die
Konsequenzen, ob sie künftig auftreten.
Dazu ist regelmäßige Wiederholung,
sprich Übung, notwendig. Nur